Seminar – Stefan Zweig
Wir haben alle unbewusst oder bewusst
an Russland ein Unrecht getan…

„Wenn ich an Russland denke, dann denke ich an das, was ich bei Turgenjew gelesen habe.“
Herbert Wells

„Reise nach Russland“

„Vierzehn Tage war ich in Russland gewesen, und noch immer empfand ich diese innerliche Gespanntheit, diesen Nebel leichter geistiger Berauschtheit. 

Bald erkannte ich’s: es waren die Menschen und die impulsive Herzlichkeit, die von ihnen ausströmte.

Alle vom ersten bis zum letzten waren überzeugt, dass sie an einer ungeheuren Sache beteiligt waren, welche die ganze Menschheit betraf, alle davon durchdrungen, dass, was sie an Entbehrungen und Einschränkungen auf sich nehmen mussten, um einer höheren Mission willen geschah.“Stefan Zweig

‚Wir haben alle unbewusst oder bewusst an Russland ein Unrecht getan und tun es noch heute. Ein Unrecht durch Nichtgenugwissen, Nichtgenuggerechtsein. Denn wie es erklären, dass wir alle unserer Generation zehnmal in Paris, zehnmal in Italien, Belgien, Holland, dass wir in Spanien und Nordland überall gewesen sind und aus einem törichten lässlichen Hochmut nie einen Blick ins Russische getan? …

Jedenfalls haben wir allzu lange die ungeheure Vielfalt der russischen Leistung nachlässig aus unserem Blickfeld gelassen, eines der genialsten und interessantesten Völker dieser Erde, zwei Eisenbahnnächte und zwei Eisenbahntage von unserem eigenen Lebensraum und doch in all seinen Werken und Wohnstätten den meisten Europäern unbekannt.

Wie viel hat uns dieser westliche Hochmut gekostet, denn wie wenige sind heute unter uns im geistigen Europa, die aus eigener Anschauung und Erfahrung dieses neue Russland mit dem alten gerecht zu vergleichen wissen …

Die Hälfte aller Urteile über das gegenwärtige Russland sind leider heute Vorurteile, das heißt, sich selbst vor das Blickfeld geschobene starre Standpunkte, die andere Hälfte Nachurteile, das will sagen, anderen nachgeredete Meinungen.“Stefan Zweig