«Der eiserne Ring des eisernen Kanzlers.
Fürst Bismarck trägt an einem Finger einen großen eisernen Ring. Dieser Ring hat eine russische Inschrift; auf ihm ist das Wort «Nitschewo» (das thut nichts) eingravirt. Was es mit diesem Ringe und seiner Inschrift für eine Bewandtniß hat, das zu erfahren, ist dem Berliner Korrespondenten der «Petersburskij Wjedmosti» gelungen, der die Erklärung aus des Fürsten eigenem Munde erhielt und darüber seinem Blatte, unter dem Hinzufügen, daß der Ring eine gewisse politische Bedeutung habe, ungefähr Folgendes schreibt:
Im Jahre 1862, als der damalige Freiherr von Bismarck-Schönhausen noch Gesandter in Petersburg war, erhielt derselbe im Winter eine Einladung zu einer circa 100 Werst von Petersburg anberaumten kaiserlichen Jagd. Bismarck, als eifriger Jäger, fuhr bereits früher dorthin ab, um vor Ankunft des Kaisers auf eigene Hand zu jagen, verirrte sich und sah sich, als die Stunde des Rendezvous nahte, einem kleinen ihm gänzlich unbekannten Dörfchen gegenüber. Er konnte sich allenfalls russisch verständlich machen und fragte einen Bauern, wie weit es bis zu jenem Sammelplatze wäre?
«Zwanzig Werst», lautete die Antwort!
«Willst Du mich hinfahren?»
«Sehr gern, Herr!»
Wenige Minuten später saß der preußische Gesandte in einem kleinen mit zwei jämmerlichen Pferdchen bespannten Bauernschlitten und fuhr ab.
«Wirst Du mich auch noch zur Zeit hinbringen; ich habe es sehr, sehr eilig?» — fragte Bismarck seinen russischen Rosselenker.
«Nitschewo». — erwiederte dieser.
«Du hast ja Ratten vor Deinem Schlitten, aber keine Pferde warf der Ungeduldige ein, dem die Fahrt zu langsam ging.
«Nitschewo,» accompagnirte der Bauer diesen Vorwurf, aber nunmehr ließ er die kleinen Pferdchen dermaßen ausgreifen, daß dem Insassen schier der Atem ausgehen wollte.
«Hallo, jetzt fährst Du ja wie ein Toller», meinte Bismarck jetzt, aber —
«Nitschewo», tönte es ihm entgegen!
«Du wirst noch umwerfen!» —
«Nitschewo», und bei diesen lakonischen «Nitschewos», als einzige Entgegnung auf alle Bemerkungen des Insassen, blieb es, bis — dieser plötzlich außerhalb des Schlittens im Schnee lag.
Auch jetzt sollte ihn wieder ein «Nitschewo» über den kleinen Unfall trösten, doch Bismarck, ärgerlich über die hervorgerufene Verzögerung und die Pomadigkeit des Bauern hatte die größte Lust, ein vom Schlitten losgegangenes Eisenstückchen, das ihm gerade zur Hand lag, auf dem Rücken desselben tanzen zu lassen, da — besann er sich eines Bessern, behielt das Eisenstäbchen zum Andenken und ließ sich später aus demselben jenen «Nitschewo=Ring» anfertigen, den er jetzt noch trägt.
So ungefähr lautet die kleine Geschichte des Ringes! Als Fürst Bismarck sie dem Korrespondenten erzählt, fügte er noch im weiteren Verlauf des Gespräches hinzu:
«Meine guten Deutschen machen mir oft den Vorwurf, daß ich Rußland gegenüber zu nachsichtig bin. Man muß aber bedenken, daß ich allein in ganz Deutschland die Gewohnheit habe, in kritischen Momenten «Nitschewo» zu sagen, während in Rußland hundert Millionen Menschen leben, die in gleichen Momenten allesamt das Wort «Nitschewo» im Munde führen.»
„Wöchentliche Anzeigen für das Fürstenthum Ratzeburg“ / 1885