Seminar – Alexandre Dumas der Ältere
„Russland – auf der Suche nach Inspiration“
„Wenn ich an Russland denke, dann denke ich an das, was ich bei Turgenjew gelesen habe.“
Herbert Wells
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat der russische Adel rauschende Feste gefeiert – Nacht um Nacht tanzte und trank man bis in den frühen Morgen. Alexandre Duma war bekannt für seine großen und perfekt organisierten Feste.
Als ihn nun der russische Graf Grigorij Kuschelew eingeladen hat, mit ihm zusammen nach Russland zu fahren, musste Dumas es sich nicht lange überlegen. Russland stand schon lange auf seiner Liste der Länder, die er bereisen wollte.
Die einzige Bedingung, die er an den Grafen Kuschelew stellte, war, dass er nicht nur nach Sankt Petersburg reisen, sondern über Moskau die Wolga hinunter bis ans Kaspische Meer und von dort weiter Richtung Süden über den Kaukasus und das Schwarze Meer zurück kehren würde. Dem Grafen war es recht – etwa ein Jahr verbrachte Alexandre Dumas in Russland und erlernte nach und nach die russische Sprache.
„… die russische Sprache keine Zwischenstufen kennt, …die Auswahl an Schimpfwörtern ist so vielfältig wie die Redewendungen, die zärtliche Liebe ausdrücken“ – Alexandre Dumas
Der Kaukasus – die schroffe Gebirgskette mit seinen großartigen Landschaften und ursprünglichen Bergstämmen am Rande Europas war der Verbannungsort des russischen Dichters Alexander Puschkin.
»Puschkin, der 1837 im Duell fiel, ist in Russland so populär wie Schiller in Deutschland, in Frankreich aber kaum dem Namen nach bekannt. Er ist aber doch ein großes Dichtertalent, geistvoll, originell, Meister der Sprache.« – Alexander Dumas, „Von Paris nach Astrachan“, 1859
Alexandre Dumas machte im »Unruheherd Kaukasus« die Bekanntschaft mit der Bergregion Georgien und ihren trinkfesten Bewohnern. „… ich habe dort sehr friedliche Menschen getroffen“ – Alexandre Dumas
„Ich habe die Georgische Heerstraße erlebt. Das ist keine Straße, sondern Poesie, eine wunderbare, phantastische Erzählung!“ – Anton Tschechow
Im Juni 1858 unternimmt Alexandre Dumas in Rußland als Erste eine „Bergpartie“ von einem Dampfer über ein wackliges, schräges Brett auf einer Nußschale.
Trotz seiner beachtenswerten Körperfülle übersteht er sie ausgezeichnet, und von nun an begleiten wir ihn auf seiner Fahrt durch das von Geheimnissen geheimnisvolle Land der Zaren.
„Ich hob den Kopf und sah einen Wald aus Glockentürmen.“ – Alexandre Dumas über Uglitsch an der Wolga.
Überall wird Alexandre Dumas begeistert empfangen:
Georgien und die Georgier
„Man kennt in Tiflis die Pariser Schnürleiber, aber ich glaube kaum, dass man in Paris weiß, wie man in Tiflis nach georgischer Art speist. Eine georgische Mahlzeit hat keineswegs den Zweck der Ernährung und Sättigung, denn sie besteht hauptsächlich aus frischen Kräutern und Wurzeln. Die botanischen Namen dieser Kräuter und Wurzeln sind mir nicht bekannt: sie werden als Salat ohne Essig und Öl aufgetischt, und ich bemerkte darunter verschiedene Arten von Zwiebeln, Dragun, Pimpernelle und Rettige.
Über die Flüssigkeiten, die dabei vertilgt werden, kann ich besser Auskunft geben. Die mäßigen Zecher trinken fünf bis sechs Flaschen Wein, die gewaltigen »Schläuche« zwölf bis fünfzehn. In Georgien ist es eine Ehre, seinen Nachbar im Trinken zu überbieten. Zum Glück ist der dortige äußerst angenehme Wein nicht stark, d. i. er steigt nicht zu Kopfe. Die Georgier aber schämen sich, ihre zehn bis zwölf Flaschen zu trinken, ohne berauscht zu werden; sie haben einen Behälter erfunden, der ihnen wider ihren Willen, oder vielmehr wider den Willen des Weins, einen Rausch anhängt. Es ist eine Art Amphora, die man eine Gulah nennt. Die Gulah, in der gewöhnlichen Form eine bauchige Flasche mit langem Halse, nimmt in ihre Öffnung nicht nur den Mund, sondern auch die Nase des Trinkers auf, so dass dieser nicht nur den Wein, sondern auch den Weindunst einzieht. Während also der Wein hinunterläuft, steigt der Dunst auf, und der Kopf wird zugleich mit dem Magen voll.
Aber außer der Gulah haben die georgischen Zecher noch viele andere Trinkgefäße von den sonderbarsten Formen, Kürbisflaschen mit langem Rohr; Schöpflöffel, Quabi genannt, in denen sich, ich weiß nicht warum, ein vergoldeter Hirschkopf mit beweglichem Geweih befindet; große Schalen, den Suppenschüsseln ähnlich; Hörner, mit Silber beschlagen und so lang wie Rolands Horn. Das kleinste dieser Trinkgefäße enthält eine Flasche, die immer auf einen Zug und ohne abzusetzen geleert werden muss.
Ein Georgier betrachtet es als eine große Ehre, in dem Rufe eines starken Trinkers zu stehen. Als der Kaiser Nikolaus in den Kaukasus kam, stellte ihm der Generalgouverneur Woronzow einen Fürsten Gristow mit den Worten vor: »Sire, ich habe die Ehre, Ihnen den ersten Trinker von ganz Georgien vorzustellen.« Der georgische Fürst verneigte sich bescheiden, aber schmunzelnd.
Ich fand mich indes mit ziemlicher Zuversicht zur bestimmten Stunde ein. Man hatte mir zu Ehren einige berühmte Zecher eingeladen, unter anderen den Fürsten Nikolaus Tschawtschawadze und einen Polen, Namens Joseph Pemerewski. In unserer Gesellschaft befand sich überdies ein Poet, Namens Ewangul Ewangulow, und ein Tonkünstler. Unser Wirt, hieß Johann Kereselidze. Die Tischgesellschaft bestand aus etwa zwölf Personen.
Der erste Gegenstand, der mir beim Eintritt in den Speisesaal auffiel, war ein ungeheurer Krug, achtzig bis hundert Flaschen haltend. Der musste ausgetrunken werden. Auf einem großen Teppich, der auf dem Fußboden ausgebreitet war, standen Teller und Schüsseln. Für uns Europäer hatte man Messer, Gabeln und Löffel bereit gelegt; die Georgier pflegen nach alter patriarchalischer Sitte mit den Fingern zu essen.
Man gab mir den Ehrenplatz in der Mitte. Der Herr vom Hause setzte sich mir gegenüber; an meiner rechten Seite nahm der Fürst Nikolaus, an meiner linken der Pole Platz.
Ich pflege einer Gefahr so lange als irgend möglich aus dem Wege zu gehen; aber wenn der Augenblick gekommen ist, so trete ich ihr entschlossen entgegen. So machte ich’s auch hier. Wie viele Flaschen Georgierwein ich ausstach, kann ich fürwahr nicht sagen; aber ich muss wohl sehr Bedeutendes geleistet haben, denn als die Mahlzeit beendet war, stellte einer der Gäste den Antrag, mir über meine großartige Leistung ein Zeugnis auszustellen.
Der Antrag wurde einstimmig zum Beschluss erhoben; man nahm ein Blatt Papier und jeder Tischgast schrieb sein Zeugnis darauf. Der Herr vom Hause eröffnete den Reigen mit folgenden drei Zeilen:
»Herr Alexander Dumas hat in unserem bescheidenen Redaktionslokale gespeist und mehr Wein getrunken als die Georgier.«
28. November 1858 (alten Stils).
Johann Kereselidze,
Redakteur des georgischen Journals Aurora
Dann folgte das Zeugnis des Fürsten Nikolaus:
»Ich bezeuge der Wahrheit gemäß,
dass Herr Dumas mehr Wein getrunken hat, als die Georgier.«
Fürst Nikolaus Tschawtschawadze
Der Poet schrieb statt eines Zeugnisses einige georgische Verse auf das Blatt. Die übrigen in georgischer, russischer und polnischer Sprache geschriebenen Zeugnisse halte ich im Originale allen wissbegierigen Lesern zur Einsicht bereit.
Wie schon gesagt, sind die Georgier hinsichtlich ihrer angeborenen liebenswürdigen Fehler die Erwählten der Schöpfung. Sie sind verschwenderisch und in Folge ihrer Verschwendung größtenteils in zerrütteten Umständen. Die russische Regierung ist ihnen dabei freilich sehr zu Hilfe gekommen.
Sie sind, wie gesagt, die ersten Trinker der Welt. Die Zuvorkommenheit, mit der sie mir ein Zeugnis ausstellten, kann ihrem Rufe nicht schaden; ihr Zeugnis ist, wie sehr häufig bei uns, wohl nur aus Gefälligkeit erteilt worden.
Dass sie sehr tapfer sind, wird ihnen selbst von den tapfersten Russen zugestanden.“
Alexander Dumas, „Reise im Kaukasus“ – 4ter Teil, 1859
»Unruheherd Kaukasus«
„Kislar, am 7. November 1858, um zwei Uhr nachmittags, näherten wir, der französische Zeichner Moynet, der russische Dolmetscher Kalino und ich, uns Kislar.
Es war die erste Stadt nach unserer Abreise aus Astrachan. Wir hatten sechshundert Werst durch ödes Steppengelände zurückgelegt, ohne etwas anderes als Poststationen und Kosakenposten vorzufinden. Zuweilen hatten wir auch wohl eine kleine Karawane von herumziehenden Kalmücken und Nogaiern erblickt, die auf ein paar Kamelen die nötigen Zeltgeräte und ihre sonstige Habe mit sich führten.Als wir aber der Stadt Kislar auf sieben bis acht Werst nahegekommen waren, hatte die Landschaft, wie es in der Nähe von Bienenkörben und Städten der Fall ist, ein belebtes Aussehen bekommen.
Wir hatten aber auch bemerkt, dass die Bienen, die aus dem Korbe kamen, mit gefährlichen Stacheln versehen waren. Alle Reiter und Fußgänger waren bewaffnet. Ein Hirte, der uns entgegentrat, hatte seinen Handschar an der Seite, seine Flinte auf der Schulter, seine Pistole im Gürtel. Selbst die Kleidung hatte einen kriegerischen Charakter.
Die harmlose russische Tulupe, die naive kalmückische Dublanka war hier durch die graue oder weiße Tscherkesska mit dem doppelten Patronengürtel auf der Brust ersetzt worden. Statt der früheren lächelnden Gesichter sah man unruhige Blicke. Man merkte, dass man einen Boden betreten hatte, wo jedermann einem Feind zu begegnen fürchtete, und, zu weit von einer schützenden Behörde entfernt, sich in wehrhaften Zustand setzte.
Je näher wir der Stadt kamen, desto schlechter wurde der Weg. In Frankreich, Deutschland oder England würde man ihn für unfahrbar gehalten haben. Aber die Tarantasse kommt überall durch, und wir saßen in einer Tarantasse.
Wir hatten eine Sandwüste durchquert und waren fünf Tage durch Staub geblendet worden; nun versanken unsere Pferde bis über die Knie, die Räder bis an die Naben im Schlamm.
»Wohin soll ich fahren?« fragte der Mietkutscher.» In den besten Gasthof. «Er schüttelte den Kopf.»In Kislar, Gospodin«, antwortete er, »gibt es keinen Gasthof.«
»Wo kehrt man denn ein?«
»Man wendet sich an den Polizeimeister und dieser bestimmt ein Haus.
«Wir riefen einen Kosaken unserer Begleitung herbei, gaben ihm unsere Vollmachten zur Bereitstellung von Pferden und einer Eskorte und befahlen ihm, zum Polizeimeister zu eilen und uns mit der Antwort am Stadttor zu erwarten.
Er ritt im Galopp davon und verschwand in den Windungen des Weges, der sich zwischen Hecken verlor. Diese Hecken umschlossen Weingärten, die sehr gut angebaut schienen.
Wir befragten unseren Mietkutscher und erfuhren von ihm, es seien armenische Gärten, in denen der treffliche Kislarwein gewonnen wird.
Seit fünf Tagen hatten wir keinen Baum gesehen, und unsere Herzen erweiterten sich, als wir diese Oase erreichten, obgleich die Oase schon halb entlaubt war.
In Russland hatten wir den Winter zurückgelassen, in Kislar fanden wir den Herbst wieder. Man versicherte uns, dass wir in Baku sogar den Sommer finden würden. Die Jahreszeiten traten also in umgekehrter Reihenfolge ein.Unser Kosak erwartete uns am Stadttor. Der Polizeimeister hatte uns ein nahes Haus angewiesen.
Wir waren nun wirklich im Orient, freilich im nördlichen; aber der nördliche Orient unterscheidet sich von dem südlichen nur durch die Volkstrachten. Sitten und Gebräuche sind nahezu gleich.“
Alexander Dumas, „Reise im Kaukasus“, 1859